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Berlin (dpa) - Edmund Stoiber setzte zum entscheidenden Satz an. Doch so recht wusste Angela Merkel in diesem Augenblick der offiziellen Bekanntgabe ihrer Kanzlerkandidatur noch nicht, welche Miene sie aufsetzen sollte. Ernst bleiben, weil dies zur Lage des Landes passt? Oder Freude zeigen, weil sie nun endlich am Ziel ist?
Erst als der bayerische Ministerpräsident vor überfülltem und applaudierendem Auditorium von einer «einmütigen und einstimmigen» Entscheidung sprach, die auf der gemeinsamen Präsidiumssitzung gefallen sei, entschied sich Merkel zu einem leicht verschmitzten Lächeln. Kurz nach 13.00 dann der Jubel, das Gejohle und rhythmisches Klatschen der eingeladenen Parteifreunde. Jetzt strahlt Merkel doch. 20 Minuten später wird sie, die erste Kanzlerkandidatin in der Geschichte der Bundesrepublik, ihr persönliches Motto für den Wahlkampf bekannt geben: «Ich will Deutschland dienen.»
Es muss alles schnell entschieden werden in diesen Tagen. Und doch gelang es CDU-Generalsekretär Volker Kauder, die Kandidaten-Kür auch mit einfachsten Mitteln zu inszenieren. Für den Zeitpunkt der Pressekonferenz von Merkel und Stoiber waren allerlei Berliner Parteivolk, Mitarbeiter der nahen Bundestagsfraktion und auch Parlamentarier für die erwünschte stimmungsvolle Kulisse eingeladen.
Merkel nutzte ihren ersten Auftritt als Kanzlerkandidatin zur ersten Wahlkampfrede. Sie formulierte Sätze, die die Bürger in den nächsten Wochen immer wieder von ihr hören werden: «Im Zentrum meines Denkens und Handelns steht - Wege zu gehen, um Arbeit für die Menschen in Deutschland zu schaffen.» Oder: «Arbeit braucht Wachstum und Wachstum braucht Freiheit.»
Sie, die die Union zum Wahlsieg führen soll, trat selbstbewusst auf - aber eher als Spielführerin einer Mannschaft, die Amtsinhaber Gerhard Schröder (SPD) ins Abseits laufen lassen will. «Dabei geht es nicht um Parteien, es geht nicht um Karrieren, um Er oder Ich, Er oder Sie oder wie auch immer das in den nächsten Tagen formuliert werden wird», sagte die CDU-Vorsitzende.
Es war nicht der Tag, an dem die Union Probleme lösen wollte. Es war der Tag der Kür. Im Vorstandssaal des Konrad-Adenauer-Haus hatte Stoiber bereits um 10.47 Uhr bekannt gegeben, dass er sich mit Merkel auf deren Kandidatur geeinigt hatte. Stoiber deutete an, dass die Entscheidung bereits vor dem CDU-Wahlsieg in Nordrhein-Westfalen gefallen sei. Danach wurde nicht mehr viel diskutiert. Zum Mittag wurde den Präsidiumsmitgliedern Maispoularde mit Risotto und Möhrchen serviert.
Alle anderen Fragen werden später beantwortet - auch die, ob Stoiber in ein Kabinett Merkel wechseln würde. Voraussetzung ist allerdings, dass der Machtwechsel bei der geplanten Bundestags- Neuwahl am 18. September klappt. Die Unionsoberen klangen jedoch recht siegessicher. Im «Kompetenzteam» von Merkel will sich Stoiber, wie er sagte, nicht auf ein Gebiet festlegen lassen. Ob er ins Bundeskabinett eintrete, sei gegebenenfalls eine Entscheidung Merkels, fügte er hinzu. Überdies müsse auch erst alles in der CSU besprochen werden. Nach wie vor ist sich Stoiber nicht sicher, ob er «sein Bayern» verlassen kann und will.
Auch das Wahlprogramm wird intern noch für einige Debatten sorgen - zumal Merkel mutig ankündigte, den Bürgern reinen Wein einschenken zu wollen. Die Union werde «ein Wahlprogramm der Ehrlichkeit» auflegen. «Kein Problem wird schön geredet», kündigte sie an, nachdem in den vergangenen Tagen intern schon über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer gestritten worden war. «Die Menschen durchschauen uns Politiker ohnehin.» Auch eine Kanzlerkandidatin.
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erschienen am 30.05.2005 um 16:52 Uhr
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