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chicken
Hab nen tollen Artikel in der Süddeutschen heute gelesen: gebt ihn euch der ist echt gut:
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Oasis, Coldplay: neue Alben
Jetzt geht es um die Wurstigkeit
4:1 nach Elfmeterschießen: Mit ihren neuen Alben wollen "Oasis" und "Coldplay" unbedingt Musikgeschichte schreiben – jeweils. Dabei beleben sie ungewollt das klassische Pop-Duell wieder.
Vielleicht sollten Musiker einfach weniger reden. Und mehr Musik machen. Die Musiker von Oasis und Coldplay etwa haben in den letzten Monaten so viel annonciert, verlautbart, angemerkt, mitgeteilt, dementiert und richtig gestellt, dass einem schwindlig wurde. Bleibt mal am Boden, Jungs, wollte man diesen heißlaufenden, hohldrehenden PR-Büros mit Gitarre zurufen, es geht doch hier nur um zwei ganz normale Langspielplatten. Oasis aber wollten partout „das beste Album in der Bandgeschichte“ fertig gestellt haben und Coldplay gleich „das beste Album aller Zeiten“. Uff!
Nun liegen die beiden zwangsepochalen Werke vor und stiften erstmal Ratlosigkeit. Zwischen Hörer und Platte schiebt sich jeweils ein Gebirgsmassiv aus Erwartungsdruck und Vorschusslob, das die Künstler selbst aufgetürmt haben. „Don’t Believe The Truth“ und „X&Y“ klingen beim ersten Hören gleichermaßen misslungen, Oasis und Coldplay scheinen auf ihre je eigene Weise zu scheitern. Es steht also zunächst Unentschieden, 0:0, in dieser battle of bands.
Das Gegenspieler-Prinzip hat ja Tradition: Beatles versus Rolling Stones, Michael Jackson versus Prince, Geha versus Pelikan. Aber: Oasis versus Coldplay – haut das überhaupt hin? In England jedenfalls rechneten überspannte Journalisten Radioeinsätze, Artikellängen und Internet-Single-Downloads emsig gegeneinander auf. Ein Sieger konnte bis dato nicht ermittelt werden.
Hören wir also noch mal genau hin, möglichst neutral, vorurteilsfrei. Auch wenn das schwerfällt, zumal bei Coldplay, die einem in letzter Zeit ziemlich auf den Wecker gingen mit ihrer zur Schau gestellten Feinfühligkeit. Angefangen haben sie als bescheidene Elegiker mit semi-melancholischen Songs – hübsche Melodien, feine Arrangements, nichts Besonderes (auch nicht origineller als, sagen wir, Travis – wo sind die eigentlich heute)?
Dass sich das erste Coldplay-Album „Parachutes“ sechs Millionen mal verkaufte, darüber staunten die Bandmitglieder selbst wohl am meisten. Vor allem Sänger Chris Martin war so von den Socken, dass er den Publikumszuspruch als Auftrag einer höheren Macht fehldeutete. Seither ist er auf einer Mission, wofür ist nicht restlos klar, Fair-Trade, Bio-Eier-Kaufen, Kondome-nicht-ins-Klo-werfen.
Anfangs artikulierte Martin nur seine ganz private Angst vor Haarausfall. Da dachte man: Mein Gott, was für langweilige Sorgen! Jetzt schultert er – seinem Vorbild Bono Vox nicht ganz unähnlich – die Sorgen der Menschheit. Dass sich der Troubadour der gemäßigten Traurigkeit in einen Allzuständigkeits-Epiker verwandeln würde, zeichnete sich schon auf dem zweiten, mächtig dick auftragenden und entsprechend zwölf Millionen mal verkauften Coldplay-Album ab.
Jetzt aber gehen Martin sämtliche Gäule durch. Er flennt und schluchzt und wimmert wie einer, der als Kind zu wenig Aufmerksamkeit von den Eltern bekommen hat. Was für ein Schmierlappen! Und seine Mitmusiker können vor Überambitioniertheit kaum ihre Instrumente halten. Kurz: Mit „X&Y“ sind Coldplay auf ihrem Weg der U2-Werdung ein gutes Stück vorangekommen. Dieselbe dengelnde Gitarre, derselbe Sound-Bombast, dieselbe Hybris, immer ordentlich Hall drauf, dazu Texte, die metaphysischen Mehrwert virtuos vortäuschen (Hauptthema: Verlust). Stets steht die Pompösität des Anspruchs in groteskem Missverhältnis zur Mediokrität des Ergebnisses. Im Kern ist es einfach Mädchenbeeindruck-Musik. Von mittelständischen Melancholikern.
„Lights will guide you home“, singt Martin in „Fix you“, dem einzigen halbwegs erträglichen Lied, „and I will try to fix you“. Aber von so einem Allesrichtigmacher und Müsli-Selber-Mischer lässt man sich ungern die Seele reparieren. Der Rest ist aufgebrezelter Schmarrn, Pflegelotion für den Gehörgang.
Ganz anders liegt der Fall bei Oasis, die auch ihr sechstes Album wieder genauso wurschtig aus dem Ärmel geschüttelt haben wie sämtliche Vorgänger. Der Unterschied ist: Früher, ganz früher waren sie inspiriert. „Live Forever“, „Slide Away“, „Wonderwall“ oder „Don’t Look Back In Anger“ – was waren das für geniale, himmelsstürmende Einfälle. Noel Gallagher muss seinerzeit im Zustand der Gnade gelebt haben. Leider nur zwei Sommer lang.
Mitte der neunziger Jahre waren Oasis die richtigen Männer zur richtigen Zeit. Sie bedienten ein neues Milieu, das nach musikalischer Repräsentation verlangte, die so genannten lads, Mittelschichtler, die sich den Coolness-Code der Unterschicht aneigneten: Im Trainingsanzug rumschlurfen, Dosenbier trinken, Mädchen in den Ausschnitt gucken.
Doch spätestens 1996 setzte der Niedergang ein. Oasis verloren erst ihre Inspiration, dann die jugendliche Spannkraft, schließlich ihr Milieu. Im Angst-Klima der bezeichnend „Nuller-Jahre“ genannten Jetztzeit kokettiert niemand gern mit dem sozialen Abstieg. Lads würden heute, wenn es sie noch gäbe, eher Coldplay hören.
Was für eine traurige Geschichte! Sehr, sehr tragisch. Aber auch saukomisch. Denn Oasis reagierten auf ihre eigene Demontage mit der gebotenen Lässigkeit und produzierten nonchalant Mist. Auch „Don’t Believe The Truth“ ist wieder ein kaputtes, zerschossenes, abgewracktes Album, wie es so nur von Männern gemacht werden kann, die nichts mehr zu verlieren haben. Die auch, wenn sie am Abgrund stehen, dem Untergang frech entgegenlachen.
Natürlich ist wieder viel abgekupfert, von Beatles, Stones, Kinks, so ist das ja immer. Es wäre idiotisch, die Quellen einzeln nachweisen zu wollen, darauf kommt es nicht an. Oasis wissen selber, dass ihnen seit Jahren nichts mehr einfällt. Auch wenn sie sich auf den Kopf stellen und mit den Ohren wackeln – ein zweites „Live Forever“ wird es nicht geben. Also machen sie HipHop mit Gitarren. Was sollen sie sonst machen? Sich erschießen? Zweitstudium?
HipHop mit Gitarren geht ganz einfach. Man braucht nur einen Beat, darüber ein Hook, und dazu wird dann gerappt, egal was, Hauptsache es kommt oft „Dream“ vor, „Love“, „Boy“, „Sky“. Die Boulevardpresse nutzt man, um in flankierenden Interviews Gegner abwechselnd zu beleidigen, zu diffamieren und ehrverletzend herabzuwürdigen. Dream, Love, Boy, Sky: So sprechen sich Jungs selber Mut zu.
Aufschlussreicher als das neue Album ist die der Deluxe-Edition beiliegende DVD. Da wird jeder Song einzeln erklärt. Was nicht nötig gewesen wäre, weil sich Songs wie „Let There Be Love“ und „Love Like A Bomb“ hinreichend selbst erklären. Über „Mucky Fingers“, das sich sehr offensichtlich den Beat des Velvet-Underground-Klassikers „I’m Waiting For The Man“ ausborgt, sagt Noel Gallagher: „Wir saßen rum und hörten Velvet Underground und hatten Lust einen Song zu machen, der so ähnlich klingt“. Bloß keine übertriebene Ambition! Bei jedem Stück sagt ein Bandmitglied, dass das nun definitiv sein Lieblingslied von Oasis sei.
Lieblingslied? Bestes Album? Zum Totlachen!
Andererseits ist es dieser Mut zur Stumpfheit, der einen am Ende sehr für Oasis einnimmt. Doch, diese Männer kann man respektieren. Sogar lieben. Wie sie wurschteln und scheitern, wie sie hinfallen und aufstehen, wie sie in die Fresse bekommen, sich das Kinn abwischen und einfach weitermachen – das hat Größe.
Oasis-Coldplay 4:1, in der Nachspielzeit, aber nur mit Elfmeterschießen.
SZ v. 7.6.2005
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Oasis, Coldplay: neue Alben
Jetzt geht es um die Wurstigkeit
4:1 nach Elfmeterschießen: Mit ihren neuen Alben wollen "Oasis" und "Coldplay" unbedingt Musikgeschichte schreiben – jeweils. Dabei beleben sie ungewollt das klassische Pop-Duell wieder.
Vielleicht sollten Musiker einfach weniger reden. Und mehr Musik machen. Die Musiker von Oasis und Coldplay etwa haben in den letzten Monaten so viel annonciert, verlautbart, angemerkt, mitgeteilt, dementiert und richtig gestellt, dass einem schwindlig wurde. Bleibt mal am Boden, Jungs, wollte man diesen heißlaufenden, hohldrehenden PR-Büros mit Gitarre zurufen, es geht doch hier nur um zwei ganz normale Langspielplatten. Oasis aber wollten partout „das beste Album in der Bandgeschichte“ fertig gestellt haben und Coldplay gleich „das beste Album aller Zeiten“. Uff!
Nun liegen die beiden zwangsepochalen Werke vor und stiften erstmal Ratlosigkeit. Zwischen Hörer und Platte schiebt sich jeweils ein Gebirgsmassiv aus Erwartungsdruck und Vorschusslob, das die Künstler selbst aufgetürmt haben. „Don’t Believe The Truth“ und „X&Y“ klingen beim ersten Hören gleichermaßen misslungen, Oasis und Coldplay scheinen auf ihre je eigene Weise zu scheitern. Es steht also zunächst Unentschieden, 0:0, in dieser battle of bands.
Das Gegenspieler-Prinzip hat ja Tradition: Beatles versus Rolling Stones, Michael Jackson versus Prince, Geha versus Pelikan. Aber: Oasis versus Coldplay – haut das überhaupt hin? In England jedenfalls rechneten überspannte Journalisten Radioeinsätze, Artikellängen und Internet-Single-Downloads emsig gegeneinander auf. Ein Sieger konnte bis dato nicht ermittelt werden.
Hören wir also noch mal genau hin, möglichst neutral, vorurteilsfrei. Auch wenn das schwerfällt, zumal bei Coldplay, die einem in letzter Zeit ziemlich auf den Wecker gingen mit ihrer zur Schau gestellten Feinfühligkeit. Angefangen haben sie als bescheidene Elegiker mit semi-melancholischen Songs – hübsche Melodien, feine Arrangements, nichts Besonderes (auch nicht origineller als, sagen wir, Travis – wo sind die eigentlich heute)?
Dass sich das erste Coldplay-Album „Parachutes“ sechs Millionen mal verkaufte, darüber staunten die Bandmitglieder selbst wohl am meisten. Vor allem Sänger Chris Martin war so von den Socken, dass er den Publikumszuspruch als Auftrag einer höheren Macht fehldeutete. Seither ist er auf einer Mission, wofür ist nicht restlos klar, Fair-Trade, Bio-Eier-Kaufen, Kondome-nicht-ins-Klo-werfen.
Anfangs artikulierte Martin nur seine ganz private Angst vor Haarausfall. Da dachte man: Mein Gott, was für langweilige Sorgen! Jetzt schultert er – seinem Vorbild Bono Vox nicht ganz unähnlich – die Sorgen der Menschheit. Dass sich der Troubadour der gemäßigten Traurigkeit in einen Allzuständigkeits-Epiker verwandeln würde, zeichnete sich schon auf dem zweiten, mächtig dick auftragenden und entsprechend zwölf Millionen mal verkauften Coldplay-Album ab.
Jetzt aber gehen Martin sämtliche Gäule durch. Er flennt und schluchzt und wimmert wie einer, der als Kind zu wenig Aufmerksamkeit von den Eltern bekommen hat. Was für ein Schmierlappen! Und seine Mitmusiker können vor Überambitioniertheit kaum ihre Instrumente halten. Kurz: Mit „X&Y“ sind Coldplay auf ihrem Weg der U2-Werdung ein gutes Stück vorangekommen. Dieselbe dengelnde Gitarre, derselbe Sound-Bombast, dieselbe Hybris, immer ordentlich Hall drauf, dazu Texte, die metaphysischen Mehrwert virtuos vortäuschen (Hauptthema: Verlust). Stets steht die Pompösität des Anspruchs in groteskem Missverhältnis zur Mediokrität des Ergebnisses. Im Kern ist es einfach Mädchenbeeindruck-Musik. Von mittelständischen Melancholikern.
„Lights will guide you home“, singt Martin in „Fix you“, dem einzigen halbwegs erträglichen Lied, „and I will try to fix you“. Aber von so einem Allesrichtigmacher und Müsli-Selber-Mischer lässt man sich ungern die Seele reparieren. Der Rest ist aufgebrezelter Schmarrn, Pflegelotion für den Gehörgang.
Ganz anders liegt der Fall bei Oasis, die auch ihr sechstes Album wieder genauso wurschtig aus dem Ärmel geschüttelt haben wie sämtliche Vorgänger. Der Unterschied ist: Früher, ganz früher waren sie inspiriert. „Live Forever“, „Slide Away“, „Wonderwall“ oder „Don’t Look Back In Anger“ – was waren das für geniale, himmelsstürmende Einfälle. Noel Gallagher muss seinerzeit im Zustand der Gnade gelebt haben. Leider nur zwei Sommer lang.
Mitte der neunziger Jahre waren Oasis die richtigen Männer zur richtigen Zeit. Sie bedienten ein neues Milieu, das nach musikalischer Repräsentation verlangte, die so genannten lads, Mittelschichtler, die sich den Coolness-Code der Unterschicht aneigneten: Im Trainingsanzug rumschlurfen, Dosenbier trinken, Mädchen in den Ausschnitt gucken.
Doch spätestens 1996 setzte der Niedergang ein. Oasis verloren erst ihre Inspiration, dann die jugendliche Spannkraft, schließlich ihr Milieu. Im Angst-Klima der bezeichnend „Nuller-Jahre“ genannten Jetztzeit kokettiert niemand gern mit dem sozialen Abstieg. Lads würden heute, wenn es sie noch gäbe, eher Coldplay hören.
Was für eine traurige Geschichte! Sehr, sehr tragisch. Aber auch saukomisch. Denn Oasis reagierten auf ihre eigene Demontage mit der gebotenen Lässigkeit und produzierten nonchalant Mist. Auch „Don’t Believe The Truth“ ist wieder ein kaputtes, zerschossenes, abgewracktes Album, wie es so nur von Männern gemacht werden kann, die nichts mehr zu verlieren haben. Die auch, wenn sie am Abgrund stehen, dem Untergang frech entgegenlachen.
Natürlich ist wieder viel abgekupfert, von Beatles, Stones, Kinks, so ist das ja immer. Es wäre idiotisch, die Quellen einzeln nachweisen zu wollen, darauf kommt es nicht an. Oasis wissen selber, dass ihnen seit Jahren nichts mehr einfällt. Auch wenn sie sich auf den Kopf stellen und mit den Ohren wackeln – ein zweites „Live Forever“ wird es nicht geben. Also machen sie HipHop mit Gitarren. Was sollen sie sonst machen? Sich erschießen? Zweitstudium?
HipHop mit Gitarren geht ganz einfach. Man braucht nur einen Beat, darüber ein Hook, und dazu wird dann gerappt, egal was, Hauptsache es kommt oft „Dream“ vor, „Love“, „Boy“, „Sky“. Die Boulevardpresse nutzt man, um in flankierenden Interviews Gegner abwechselnd zu beleidigen, zu diffamieren und ehrverletzend herabzuwürdigen. Dream, Love, Boy, Sky: So sprechen sich Jungs selber Mut zu.
Aufschlussreicher als das neue Album ist die der Deluxe-Edition beiliegende DVD. Da wird jeder Song einzeln erklärt. Was nicht nötig gewesen wäre, weil sich Songs wie „Let There Be Love“ und „Love Like A Bomb“ hinreichend selbst erklären. Über „Mucky Fingers“, das sich sehr offensichtlich den Beat des Velvet-Underground-Klassikers „I’m Waiting For The Man“ ausborgt, sagt Noel Gallagher: „Wir saßen rum und hörten Velvet Underground und hatten Lust einen Song zu machen, der so ähnlich klingt“. Bloß keine übertriebene Ambition! Bei jedem Stück sagt ein Bandmitglied, dass das nun definitiv sein Lieblingslied von Oasis sei.
Lieblingslied? Bestes Album? Zum Totlachen!
Andererseits ist es dieser Mut zur Stumpfheit, der einen am Ende sehr für Oasis einnimmt. Doch, diese Männer kann man respektieren. Sogar lieben. Wie sie wurschteln und scheitern, wie sie hinfallen und aufstehen, wie sie in die Fresse bekommen, sich das Kinn abwischen und einfach weitermachen – das hat Größe.
Oasis-Coldplay 4:1, in der Nachspielzeit, aber nur mit Elfmeterschießen.
SZ v. 7.6.2005