Ich rede von einer lebenspraktischen, menschenfreundlichen Ethik, das hat mit Atheismus an sich nichts zu tun.
Dann habe ich dich falsch interpretiert. Mir kam es rüber: "Böse -> Religion, Gut -> Rest".
Von 'Feindesliebe' oder Toleranz spüre ich da jedenfalls nur sehr wenig. Ich könnte da noch mehr menschenverachtende Stellen zitieren, zum Beispiel was Homosexualität und 'den Juden' als Feindbild betrifft (im neuen Testament).
Das alte Testament in den frühen Büchern - dessen Schriften ja ebenfalls für das Judentum, als auch für den Islam gleichbedeutend verwendet werden - ist relativ blutig. Die Elemente der Feindesliebe finden sich aber bereits da, u.a. in der Geschichte Abrahams oder Davids. Deutlich stärker tritt dieses Element aber bei den späteren Propheten wie z.B. Jesaia und beim neuen Testament auf.
Das mag auf eine Art widersprüchlich sein, spiegelt aber die Zweigeteiltheit des Gottes im jüdischen, christlichen und muslimischen Glaubens wider: Der Löwe und gleichzeitig das Lamm.
Im neuen Testament wird ja auch Jesus als Lamm und Löwe beschrieben. Einerseits streckt er die rechte Backe hin, andererseits treibt er die Markttreibenden aus dem Tempel.
Das zu verstehen und zu begreifen und zu sehen, dass das kein Widerspruch ist; dafür hab ich gut 10 Jahre gebraucht.
Trotzdem gibt es genug Menschen, die so etwas nicht hinterfragen. (Im Großen natürlich so gut wie kaum in Europa, hier herrscht nur noch 'Christentum light', was im Prinzip mit der eigentlichen Lehre nichts mehr zu tun hat und durch die Aufklärung 'verwässert' wurde). Zum Beispiel sie aber hier der nun heilig gesprochene Opus-Dei Gründer Escriva zitiert: Ich nenne dir die wahren Schätze des Menschen auf dieser Erde, damit du sie dir nicht entgehen lässt: Hunger, Durst, Hitze, Kälte, Schmerz, Schande, Armut, Einsamkeit, Verrat, Verleumdung, Gefängnis" (und dies im 20. Jahrhundert!!)
Ich glaube, die heutige, westliche Gesellschaftsform kommt dem Idealbild der christlichen Gesellschaft so nahe, wie bisher keine Gesellschaft in der Geschichte der Menschen. Und doch meilenweit entfernt. Ich würde in dem Sinn nicht Europa als "Christentum Light" bezeihnen, sondern eher die westliche Gesellschaft zur Zeit der beinahen Allmacht der Kirche als klar Anti-Christlich in fast jeder hinsicht.
Opus Dei zu verstehen, ist ein sehr schwieriges Thema (ich glaube fast, dafür muss man katholisch erzogen worden sein). Opus Dei ist eine extreme katholische Sekte und hat den Begriff der Demut - der im Katholizismus ein sehr grosse Rolle spielt - zur Hauptfigur im Glauben gemacht. Opus Dei glaubt, dass der Mensch sein Herz erst für Gott zu öffnen vermag, sofern man wahre Demut gelernt hat. Und gerade bei Schicksalsschlägen oder schwierigen Lebensumständen zeigt sich, dass die Menschen augenscheinlich demütiger werden. Ich sprech aus Erfahrung..
So sehr ich Opus Dei nicht befürworte, halte ich die Idee der Demut doch für den wahreren Weg des christlichen Glauben, als die calvinistische und evangelikale Variante des Weges zu Gott durch Wohlstand - auch wenn das sicher die populärere Methode ist.
Und das Paulus Anti-Semit war, das ist kein Geheimnis. Man darf aber nicht vergessen, dass er selbst ja geborener und gelehrte Jude war vor seiner Konvertierung. Genauergesagt war er Pharisäer und an den ersten Christenverfolgungen beteiligt. Unter der Voraussetzung kann ich es verstehen, dass er die Rolle der damaligen Juden - und damit einen Grossteil seiner eigenen Lebensgeschichte - kritisch betrachtet.
In gewisser Weise kann man den Muslimen da gar keinen Vorwurf machen. Immerhin leben sie in ihrer Zeitrechnung noch im Mittelalter (Christentum: Hexenverbrennungen, Kreuzzüge, Ächtungen von 'Ketzern', etc...). Sie sind nunmal nicht mit den Memen [Gedankeneinheiten, die durch Kommunikation übertragen werden] aufgewachsen, die für uns 'westlich orientierte' Menschen so selbstverständlich sind (vor allem die allgemeinen Menschenrechte, die auch erst gegen die Kirche erkämpft werden mussten, etc..)
Ich mache den Muslimen in den arabischen Ländern genausowenig einen Vorwurf, wie den afrikanischen Völkern, die von Pfeil und Bogen zum Maschinengewehr gekommen sind und heute in Kriegen ohne Ende verwickelt sind. Die Aufklärung war im Nachhinein gesehen wohl einer der bedeutensten Entwicklungsschritte in der Geschichte der Menschheit.
Ich mache aber durchaus Vorwürfe gegenüber Muslimen, die in der westlichen Welt geboren und aufgewachsen sind. Mir fehlt einerseits eine klare Distanzierung zu den extremistischen Kräften, andererseits aber auch ein offener Dialog über die Glaubenswerte. Die christlichen Schriften werden an allen Orten bis auf den Buchstaben diskutiert und zerpflückt, macht man dies mit dem Koran, erntet man Aufschreie.
Und hier kommen wieder die tausendjahrealten Schriften ins Spiel die nicht hinterfragt werden DÜRFEN. Wenn man dies trotzdem wagt, durchbricht man gewisse Meme und kulturell angelernte Sozialisationsmuster (Dieses Problem begegnet übrigens jedem "Fremdem" (quasi aus einer Out-Group) in einer In-Group).
Und hier muss man Unterscheiden. Denn z.B. die Bibel fordert in sich selbst geradezu zum Hinterfragen auf. "prüfet aber alles. Das Gute behaltet". Es ist die Kultur, das soziale Umfeld, dass die Problematik darstellt. Der Koran an sich hat viele, sehr moderne, gesellschaftsliberale Ansätze enthalten, aber gelebt werden diese in den arabischen Ländern nicht. Weil eben nie der Schritt in die Aufklärung gemacht wurde. Das ist ein Problem der Kultur, nicht eine der Religion an sich.
Lindern wir Leid eines anderen Menschen, steigern wir unser Wohlempfinden. Der Fatalismus wäre also eine völlig falsche Konsequenz.
Ich kenne ähnliche Werke aus dem Studium. Das nennt sich in den Wirtschaftswissenschaften Altruismus und wurde tausendfach in Experimenten nachgewiesen. Hat ganz spannende dazu. Ich hatte mal das Glück im Institut von Prof. Fehr zu arbeiten, der als Koriphäe auf dem Gebiet gilt und hoffentlich nächstes Jahr für seine Arbeiten den Nobelpreis abstaubt. Vielleicht willst du ein paar seiner Arbeiten anschauen, sind sehr spannend.
http://www.iew.uzh.ch/institute/people/fehr/publications.html
Übrigens bezeichnete sich Douglas Adams selbst als 'radikalen Atheisten'. Hier ein weiteres Zitat von ihm:
“Isn't it enough to see that a garden is beautiful without having to believe that there are fairies at the bottom of it too?”
Wir können die Diskussion gerne per PM oder einem anderen Thread weiterführen, aber hier führt es nun definitiv am Thema vorbei und ich bin momentan etwas viel beschäftigt. : )
Mir ist klar, dass Adams Atheist erster Güte war. Aber seine kruden Denkmuster, die er in seinen eigentlich zur Unterhaltung gedachten Bücher anstellt, finde ich mehr als anregend.
Es ist kein Geheimnis, dass ich mich klar als Christen sehe, aber gerade die Diskussionen, die ich bisher mit Atheisten, mit Muslimen, mit Juden und Satanisten geführt habe, lassen es erst zu, reflektiert mit dem Thema Religion umzugehen. Leider musste ich oft genug erfahren, dass gerade der Diskurs mit Muslimen sehr schwierig ist, da ich bisher kaum jemanden gefunden habe, der offen und ohne vorgebildete Meinungen über Glaubensgrundsätze diskutieren wollte.. Ganz zu schweigen, dass sich zwar viele Muslim nennen, aber von denjenigen kaum jemand den Koran auch nur ansatzweise kennt. Gerade heute hat mich eine türkische Kollegin gefragt - die sich an die Essensvorschriften des Korans weitgehen hält -, ob Hirsch-Fleisch nach muslimischen Regeln zu essen sei oder nicht. Ich wusste es, da ich die betreffenden Stellen in den Schriften des alten Testament kenne, auch wenn sie für Christen keinerlei Bedeutung mehr haben. Aber ich finde es irgendwie befremdend, dass sie dies nicht wusste, wenn es doch ein relevanter Bestandteil ihres Glaubens zu sein scheint.
Ich weiss, die Diskussion entfremdet sich auf eine Art, aber ich find's grad hochspannend. Ich denke, dass darf und muss geradezu öffentlich geführt werden.